Literatur, die die Wirklichkeit erhellt - Indigene Erzähltradition aus Kanada
„Schreib nicht einfach, was Du weißt. Schreib, was Du wissen willst. Beim Geschichtenerzählen geht es ums Entdecken.“ schrieb der kanadische Autor Richard Wagamese (1955-2017). Verhält es sich beim Lesen nicht ähnlich? Es ist nicht das Thema „Diskriminierung“ oder „gewalttätige Assimilation der indigenen Bevölkerung“ und sicher nicht das Thema „Eishockey“, das mich zu diesem Roman gezogen hat. Es ist das wunderbare, behutsame Schreiben darüber, das sich Einfinden in der Tradition, das nachdenkliche Verflechten privater mit sozialer Geschichte, das mich gefesselt hat. Wagamese macht nicht viele Worte über die Befindlichkeit von Saul „Indian Horse“, der erst seinen Eltern abhandenkommt und dann seiner geliebten Großmutter und seiner Umgebung in der Wildnis entrissen wird. Seine Erlebnisse sind traurig, schmerzhaft und brutal. Und dennoch fasziniert die Erzählung über die verwundete Seele dieses und anderer jungen Menschen mit indigenen Wurzeln in den vermutlich 1950er Jahren im Norden Kanadas. Die Schlüsse, die Saul zieht, die Schritte, die er tut, die Linderung, die er sucht und die Heilung, nach der er sich sehnt, erhellen diesen Roman. Die spürbare Verbundenheit in der Natur und in der Gemeinschaft sind die zu machenden Entdeckungen. Allein der Versuch, Wagameses Kunst des Beschreibens zu schildern, ist mir unmöglich. Umso bedeutsamer erscheint sie mir. Sollten Sie seinen zuvor übersetzten Roman „Das weite Herz des Landes“ noch nicht kennen, erfolgt hier die unbedingte Lese-Empfehlung.
Buchtitel: Der gefrorene Himmel
AutorIn: Richard Wagamese
Verlag: Blessing
Preis: € 22,00
ISBN: 9783896676672
Gelesen und empfohlen von: Elisabeth Evertz